Charles Lazarus Hallgarten

Pionier der modernen Sozialfürsorge und Gründer zahlreicher sozialen Institutionen

Charles Lazarus Hallgarten ist trotz seiner vielen guten Taten ein bisschen in Vergessenheit geraten. Wohl haben wir eine Charles-Hallgarten-Schule am Bornheimer Hang und eine Hallgartenstraße, die die Friedberger Landstraße mit dem Günthersburgpark verbindet, aber sonst ist der Name Charles Hallgarten vielen nicht bekannt.

Als Pionier der modernen Sozialfürsorge und Gründer oder Mitbegründer zahlreicher zum Teil heute noch in Frankfurt existierender sozialen Institutionen war Charles Lazarus Hallgarten zu Lebzeiten eine weit über Frankfurt hinaus bekannte Persönlichkeit.

ab 1838

Von Mainz über Mannheim nach New York

Geboren wurde Charles Lazarus Hallgarten als Karl Lazarus Hallgarten am 18. November 1838 in Mainz. Die Nähe zu Hallgarten im Rheingau lässt vermuten, dass die Familie ursprünglich von dort stammte. Der Beruf seines Vaters, Lazarus Hallgarten, war mit „Handelsmann“ angegeben. Charles war das dritte von fünf Kindern der Familie.

Der Vater wanderte über Frankreich und England Ende 1845 nach Amerika aus. Seine Frau, Eleonore Hallgarten geborene Darmstädter, kehrte mit den Kindern zu ihrer Familie in ihre Geburtsstadt Mannheim zurück. Charles besuchte dort eine Lateinschule. 1851 folgten Eleonore und ihre Kinder dem Ehemann und Vater nach New York, wo sich die Familie dauerhaft niederließ. Charles besuchte dort – dann schon als amerikanischer Bürger – Schule und College.

© Wikipedia, Charles Hallgarten
© Wikipedia, Charles Hallgarten
ab 1850

Bankhaus Hallgarten & Company

Der Vater Lazarus Hallgarten gründete in New York das Bankhaus Hallgarten & Company, welches schnell zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen wird.

Die Finanzierung der Truppen der Nordstaaten im Sezessionskrig 1861–1865 und die Finanzierung bedeutender Bauprojekte und Eisenbahnlinien brachten dem Bankhaus große Erfolge. 

 

ab 1864

Heirat und beruflicher Einstieg

1864 heiratete Charles seine Cousine Elise Mainzer, die er bereits aus seinen Kindertagen in Mannheim kannte, und vier Jahre später – 1868 – trat er gemeinsam mit seinen Brüdern in das erfolgreiche Bankhaus seines Vaters ein.

Die Eheleute hatten vier Kinder. Drei davon wurden noch in New York geboren, das Nesthäkchen Emma wurde in Frankfurt geboren. 

 

Engagement in der Sozialfürsorge in New York

Schon in seiner Collegezeit beschäftigte er sich in Vorträgen mit den gesellschaftlichen und sozialen Problemen in New York. Besonders die Armut unter den Menschen der Arbeiterklasse und die Verelendung ganzer Familien bewegten ihn sehr. Zu dieser Zeit lag die Unterstützung von Menschen in prekären Lebensverhältnissen fast ausschließlich in den Händen von wohlhabenden Privatleuten. Charles Hallgarten war sich früh bewusst, dass dieses Hilfesystem anfällig war und auf mehrere Schultern verteilt werden sollte. Die schwere Wirtschaftskrise in Amerika und der strenge Winter 1873/1874 bestätigten ihn in seiner Meinung.

Sein Ziel war es, öffentliches und privates Engagement in der Sozialfürsorge zu verbinden. Er selbst engagierte sich während seiner Zeit in New York besonders für das „Hebrew Orphan Asylum“, ein Kinderheim.

Später – auch neben seinem Beruf – engagierte sich Charles weiterhin intensiv in der Armenfürsorge. Er besuchte Familien in den Slums von New York, um festzustellen, welche Art von Hilfe am meisten benötigt wurde.

Tuberkuloseerkrankung und Rückkehr nach Europa

Bei einer der zahlreichen Besuche In den New Yorker Slums steckte er sich mit Tuberkulose an. Die Krankheit und das schlechte Klima New Yorks machten es ihm unmöglich, dort zu bleiben und er verließ die Stadt.

Zwei Jahre erholte er sich auf Sizilien, an der Riviera und am Genfer See. Er beschloss, nicht wieder nach New York zurückzukehren, und ließ sich in Frankfurt nieder. 

 

ab 1878

Umzug nach Frankfurt

Die Familie Hallgarten war seit dem 7. März 1878 in Frankfurt an der Bockenheimer Landstraße 59 gemeldet, wo sie zur Miete wohnten. Zwei Jahre später kaufte Charles Hallgarten ein großes Grundstück an der heutigen Siesmayerstraße, früher Miquelstraße, von dem Bankier Moritz Hahn.

Das Grundstück, auf dem im letzten Jahrhundert das amerikanische Konsulat stand, grenzte an den Palmengarten. Er beauftragte Franz von Hoven, ihm dort ein Wohnhaus zu errichten, in dem die Familie ab dem 4. Januar 1883 lebte.

 

Eröffnung des Büros für Hilfebedürftige

Wie schon in New York, beschäftigen ihn auch hier in Frankfurt die sozialen Fragen und die Bedürfnisse der armen Menschen, besonders das Schicksal von Kindern und Frauen lag ihm am Herzen. Sein Ziel war es, in Frankfurt ein tragfähiges Sozialsystem aus privater und öffentlicher Vorsorge zu etablieren.

Da er selbst wohlhabend und in der Lage war zu helfen, eröffnete Hallgarten in der Neuen Mainzer Straße ein Büro für Hilfebedürftige. Dort konnten alle Personen, die in Not waren, ihre Bittgesuche bei Hallgartens Sekretär abgeben. Es ist bekannt, dass Hallgarten aber auch zu Hause Bittsteller empfing. 

 

ab 1882

Gründung von 40 sozialen Vereinen und Organisationen

1882 trat er als Mitglied dem „Almosenkasten“ der israelitischen Gemeinde bei. Schnell wurde er wegen seines Engagements in den Vorstand berufen. Sein Organisationstalent und seine Fähigkeit, andere wohlhabende Bürger Frankfurts in seine Arbeit mit einzubeziehen, ermöglichten die Gründung oder Unterstützung zahlreicher Organisationen, hier nur einige Beispiele:

  • Frankfurter Verein für Mutterschutz
  • Rechtsschutzstelle für Frauen
  • Milchküchen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
  • Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose
  • Unterstützung des BertaPappenheimHeimes für Mädchen
  • Einrichtung von Suppenküchen für Kinder und von Kinderhorten
  • Einrichtung einer reformpädagogischen Anstalt (Kalmenhof) für geistig behinderte Kinder und Jugendliche
  • Errichtung der ersten Frankfurter Hilfsschule (1889)

Insgesamt umfasste die Liste seines Engagements 40 Vereine und Organisationen und viele Einzelprojekte. Immer wieder setzte er sich bei seinen Aufgaben für die gemeinsame Arbeit von öffentlichen und privaten Institutionen zur Bekämpfung von Armut ein. Genau wie Wilhelm Merton strebte Charles Hallgarten die Verknüpfung aller wohltätigen Organisationen der Stadt an. 1890 wurde er Gründungsmitglied des von Merton initiierten „Instituts für Gemeinwohl“, aus dem später eine große Anzahl von Einrichtungen gemeinnütziger Fürsorge, wie zum Beispiel die „Centrale für private Fürsorge“, hervorgehen. 

ab 1890

Gründung der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG)

Die Bevölkerungszahl Frankfurts verdoppelte sich aufgrund der Industrialisierung zwischen 1870 und 1890. Die Wohnungsnot, besonders für Arbeiter, war groß. Es mußten neue Wohnungen entstehen. Auch hier war Charles Hallgarten sofort bereit, das Projekt zu unterstützen. Auf Betreiben des Juristen und Stadtrats Karl Flesch sollten in Zusammenarbeit von Stadt und privaten Investoren gute Wohnungen entstehen. Wieder einmal konnte Hallgarten andere Frankfurter für die Idee begeistern: Es entstand die Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG).

Das Stammkapital stammte von 605 Frankfurter Bürgern. Hallgarten war Mitglied des Aufsichtsrates und beteiligt an der wirtschaftlichen Berechnung für das Projekt. Berechnungsgrundlage für die Größe der Wohnungen war der Mietzins. Die Miete für eine solche Wohnung sollte nur ein Viertel des durchschnittlichen Arbeitslohnes betragen. Es entstanden der Nordendblock, Burgstraßenblock, Yorkstraßenblock und Gallusblock mit insgesamt 973 Zwei- und Dreizimmerwohnungen. 

Vereins zur Abwehr des Antisemitismus

In die gleiche Zeit wie der Bau der Wohnungen 1880/1890 fiel auch eine zunehmende Judenfeindlichkeit in Deutschland. Hallgarten jedoch gehörte zu den Mitbegründern des 1890 gegründeten Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Er kümmerte sich um die Finanzierung des Vereins, hielt Vorträge und warb eine große Anzahl an Mitgliedern an.

Auch nach dem Verlust seiner Frau Elise im Jahr 1895 engagierte er sich weiterhin, und das nicht nur in Frankfurt. 1897 gründete der Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins Heinrich Frauberger die „Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler“ und bat Hallgarten um Unterstützung. Selbstverständlich wurde diese ihm gewährt und Hallgarten gründete auch hier in Frankfurt eine ebensolche Gesellschaft.

 

1908

Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof

Am 19. April 1908 verstarb Charles Lazarus Hallgarten an den Folgen eines Schlaganfalls. Bei seiner Beerdigung am 22. April 1908 säumten 20.000 Menschen den letzten Weg des großen Mäzens. Am Grab sprachen 20 Personen über sein Leben und Wirken. Begraben wurde er auf dem Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße. 

Zeit seines Lebens nahm Hallgarten keine Auszeichnungen für sein Engagement an. Den vollen Umfang seiner Wohltätigkeit kannten allenfalls die ihm Nahestehenden: „Er ist ein Wohltäter in großem Stil gewesen, er hat vielen geholfen und am schönsten da, wo kein Menschenmund ihn nannte, wo er in Stille und Verborgenheit gewirkt hat …“ (Trauerrede von Dr. Rudolph Ehlers).